Die Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten

Juni 2023

Die Ausstellung von Martina Rick im Glashaus ist ein Fest der Farbe. Auf den ersten Blick fällt die strenge Hängung von gleichförmigen Bildformaten auf, die den Blick wie durch ein Fenster in eine wilde Welt freigeben. Eine wilde Farbwelt, die keinen gängigen Gesetzen zu gehorchen scheint, die keine Titel trägt und den Betrachter in die Freiheit der eigenen Deutung und Gefühle entlässt.

Die vorherrschende Farbe ist grün, auf der vieles aufbaut. Grün, die Farbe des Lebens, des Wachsens, der Natur. Dazu bestimmen starke Kontraste die Bilder, Kontraste zwischen Hell und Dunkel, blau und grün, rot und gelb. Es gibt keine ineinanderlaufende Farbverläufe, es gibt aber auch keine streng voneinander getrennten Flächen. Es fehlen eindeutige Grenzen (wie schön), alles scheint in Bewegung und im wirbelnden Miteinander.

Die Farbwolken auf den Bildern von Martina Rick erinnern an den Urknall des Kosmos, wo alles noch entsteht und wird und nichts Gegenständliches zu erahnen ist. Gleich das erste Bild im Café zeigt eine helle Explosion aus rot und gelb wie die Nahaufnahme des Sonnensturms, ein Ausbruch von Licht wie aus einem Vulkan. Erinnerungen an die lichtdurchfluteten Himmel von William Turner werden wach.

Auf einigen Bildern gibt es kleine Andeutungen von Geometrie, als Gedanken aus einer geistigen Ebene, die aus dem Chaos erwachsen. Kleine Zeichen auf den Farbflächen – schriftähnlich, Rauten und Kringel – blattähnlich und Striche, die die Farbflächen durchziehen.

Der Begriff Chaos ist vorwiegend negativ besetzt, als ein Zustand vollständiger Unordnung der Dinge, ein bedrohlicher Wirrwarr. Chaotische Menschen können sehr unangenehm sein und wir scheinen ein starkes Bedürfnis zu haben, das Unbeschreibliche und Unheimliche der Welt in eine verlässliche Ordnung zu bringen.

In der Antike ist das Chaos der Gegenbegriff zum Kosmos, dem geordneten Universum. Demnach ging erst aus dem Chaos die spätere geordnete Welt, der Kosmos, hervor. Die modernen Wissenschaften konnten dann mehr und mehr mit Hilfe der Mathematik und Physik die Welt und ihre Zusammenhänge erklären. Newton und Einstein lassen grüßen.

Aber spätestens seit der Entdeckung der Quantentheorie ist alles nicht mehr so eindeutig. Mit Heisenberg lassen sich keine exakten Vorgaben mehr über die Teilchen im Atomkern treffen, sondern nur noch Wahrscheinlichkeiten bestimmen. Chaos in der modernen Forschung bedeutet dann die Unvorhersagbarkeit von Prozessen.

Und das passt auf die Bilder von Martina Rick. Sie sind wie ein Blick durch das neue James-Webb-Weltraumteleskop in Welten, die wir nicht kennen und in Zusammenhänge, die wir nicht deuten können. All das wird in ihren Bildern zusammengehalten durch die Schönheit der Farben und die Lebendigkeit, die sie ausstrahlen.

Und diese Lebendigkeit überträgt sich auf die Besucher dieser Ausstellung.