Gruslige Schönheit

September 2015

Es wurde auch Zeit. Endlich kommen Pechmarie und Glücksmarie wieder zurück nach Holle. Nach ihren aufregenden Besuchen bei Frau Holle haben sie sich von Christa Shelbaia aus Hannover portraitieren lassen und sind Bestandteil der September Ausstellung „HEX HEX“ im Derneburger Glashaus.

Christa Shelbaia entführt mit ihrer Malerei in die Welt der Märchen. Auf ihren Bildern verliert sich der Betrachter in Alices Wunderland, in dem sich Bäume in Kleider verwandeln und Tiere in Frauenhaaren wohnen. Alles ist verkehrt. Es gibt ein Rumpelieschen und ein Dornhänschen. Ein verwunschener Prinz schließt die Augen und wartet auf den Kuss der wahren Liebe.

Dabei malt die Künstlerin aus Hannover in altmeisterlicher Manier mit lockerem Pinselstrich und detailversessener Genauigkeit. Die Gesichter sind fein modelliert, der Faltenwurf der Kleider fließend und die Farben harmonisch weich. Ihre phantastischen Welten sind streng komponiert und voller Fülle. Oft durchzieht eine zweite Schicht aus Punkten und Flecken die Bilder wie ein leichtes Schneegewitter. Obwohl die Figuren statisch wirken, geht eine ungeheure Lebendigkeit von ihnen aus, die sich im Glanz ihrer Augen widerspiegelt.

Das Doppelbild, das der Ausstellung seinen Namen gibt, wirkt rätselhaft. Eine rothaarige Frau hockt vor einem übergroßen schwarzen Raben, ein Vorhang gibt den Blick frei auf eine Narrenfigur im Halbdunkel und eine schöne Frau mit weißer Maske hält eine riesengroße Blume in der Hand. Ein sehr sinnlicher Zauber wohnt diesem Bild inne, der umso magischer wird, je mehr er sich einer Erklärung entzieht.

Christa Shelbaia liebt die weiße Maske des Karnevals, die die Lebendigkeit der Augen hervorhebt und zugleich die Fremdheit betont. Ein rot berocktes Rumpelieschen trägt eine solche Maske und tanzt seinen wilden Tanz mit zu Berge stehenden Haaren im Scheinwerferlicht. Pechmarie und Glücksmarie zeigen sich dagegen unverschleiert. Doch auch hier wirken die Rollen seltsam verkehrt. Die von schwarzer Farbe umflossene Pechmarie wirkt verletzlich und traurig, während die von grüner Pracht umgebene Glücksmarie eitel und hochmütig daherkommt.

Die Malerei von Christa Shelbaia ist ein Vexierspiel zwischen dem Nahen und dem Fernen, dem Bekannten und dem Unbekannten, dem Vertrauten und dem Fremden. Beides existiert in ihren Bildern gleichzeitig und ist der Grund für die Faszination und Verwirrung, die von ihnen ausgeht. Ihre Bilder sind der Widerspruch einer grusligen Schönheit, der sich nicht entwirren lassen will.

Wie das Bild „Die Ernte“, in dem eine schwarze Frau im rosa Gewand ein totes Huhn wie ein Kind auf dem Arm trägt. Ihr unzähmbares Haar wird von Nägeln zusammengehalten und in einer abgetrennten Schicht liegen tote Hühner im Untergrund. Aus einer Spielzeugkiste quellen lebendig wirkende Figuren heraus und die rechte Hand der Frau steckt in einem befleckten schwarzen Gummihandschuh. Und zu allem Überfluss hängen umgedrehte Federbälle wie fliegende Feen im Raum herum. Hier löst sich eine Realität auf, vor der selbst die Verursacher staunend stehen und sich fragen, wie das geschehen konnte.

Die Malerei von Christa Shelbaia ist sinnlich, rätselhaft und doppeldeutig. Wie in einem Traum, in dem sich Phantasie und Wirklichkeit undurchdringlich vermischen.

Es gibt in dem Film Blade Runner von Ridley Scott, die Figur des Sebastian, der lebendige Puppen baut. In seinem Atelier voller Zeug weiß man nie, was lebendig ist oder tot.