Der Benita-Kosmos

März 2024

Die heutige Technik lässt die einfachen Grundlagen der Fotografie leicht vergessen: Die Fotografie ist und war eine Kunst des Lichts und der Zeit. Als weitere Faktoren kommen noch die Optik und die Beschaffenheit des belichteten Materials dazu, sei es analog oder digital. In diesem abhängigen Wechselspiel bewegt sich auch die Fotografin Benita Heldmann, doch was sie daraus macht, geht weit darüber hinaus.

Denn mit dem Einzug der digitalen Fotografie hat sich Grundlegendes geändert. Vor allem die Möglichkeiten der Bildgestaltung und der Bildmanipulation. Für die frühen Fotografen war die Fotografie ein Abbild der Realität, ein Spiegel als Beweis für die Wirklichkeit. Das war zunächst so erschreckend, dass vor allem die Kunstfotografen bemüht waren, die Detailtreue der Fotos durch malerische Techniken zu verstecken.

Heute, 34 Jahre nach der Vorstellung der ersten Digitalkamera, wird deutlich: der Glaube an ein objektives Abbild der Realität durch Fotografie ist tot und die Deepfakes der künstlichen Intelligenz sind ihr Sargnagel. Nicht nur die Fotografie scheitert an ihrem Wirklichkeitsanspruch, auch die moderne Physik kann sich nicht mehr auf die Gesetze von Ursache und Wirkung verlassen. Auf der Suche, was die Welt im Innersten zusammenhält, entziehen sich die kleinsten Teile einer Kausalität und unserem logischen Denken.

Aber so entsteht Poesie. Die Poetin sagt: „Die Realität ist nicht real“ und entdeckt neue Welten. Und damit sind wir bei Benita Heldmann angekommen, die sich um die Wiedergabe der sichtbaren Realität gar nicht kümmert. Sie erschafft mit den neuen digitalen Techniken ihre eigenen Bildwelten, einen eigenen Benita-Kosmos, dem sie treu bleibt.

Ihre Ausstellung im Glashaus kommt mit einer überbordenden Fülle daher und erinnert an barocke Bilderwelten, in denen Engel durch die Luft schweben. In tiefschwarzer Nacht bewegen sich weiße Wesen, von kostbaren Tüchern umhüllt, schwerelos durch Glanz und Glitter. Es gibt keinen Horizont und keinen Ortsbezug, die Formen lösen sich in Spiegelungen auf, Schriften durchziehen die Tiefe. Ein Garten voller Lust, Erotik und Selbstverliebtheit öffnet seine Pforten. Die Nixen sind unbeschwert nackt und kümmern sich nicht um eventuelle Betrachter. Sie genügen sich selbst und sind wie im Traum mit ihrer Welt voller Magie und Zauber tief verbunden.

Wir betreten ihr geheimnisvolles Universum wie der Wanderer im Märchen, der eine versteckte Tür entdeckt, hinter der andere Gesetze gelten als in der Wirklichkeit. Verzaubert, stumm und atemlos schauen wir, staunen wir in diese grenzenlose Stille. Jetzt eine falsche Bewegung, ein zu lautes Wort und alles verschwindet in einem lauten Knall und wir stehen wieder draußen. Mit dem unwiderstehlichen Drang, in diese Zauberwelt wieder zurückzukommen, ohne wirklich Teil von ihr zu sein.

Benita Heldmann überrascht uns aber auch mit ganz neuen Fotos. Ohne Nixen. Sondern mit Ansichten aus Hildesheim und seinen Sehenswürdigkeiten: dem Marktplatz, dem Kehrwiederturm, dem Zuckerhut, dem Huckup, dem Dom. Daneben auch Industrielandschaften, wie der Flugplatz oder der Hafen.

Aber auch hier gibt es kein Abbild im Sinn einer dokumentarischen Fotografie. Die Hildesheimer Stadtansichten besitzen einen morbiden Charme und eine stimmungsvolle Melancholie. Sie sind von einer künstlich-monotonen Farbigkeit durchzogen und in dunklen, rotbraunen Tönen gehalten. Schichten überlagern sich, helle Überstrahlungen stehen neben undurchsichtigen Flächen und Verwischungen.

Im Gegensatz zu den Nixenfotos steht die Zeit hier nicht still, sondern die Schönheit der Vergänglichkeit spricht aus allen Bildern. Da die Ansichten von Hildesheim ganz aktuell sind, entsteht der Eindruck, als ob man aus der Zukunft in die heutige Gegenwart blicken würde. Die Zeit scheint an ihnen zu nagen, die bedruckten Alu-Dibond Untergründe ähneln rostenden Metallplatten mehr als fotografischen Hochglanzabzügen.

Die Serie der Stadtlandschaften ist eine Hommage an den Anfang der Fotografie. An die Zeiten der langen Belichtungen, an die direkten Abzüge von großen Fotoplatten. So wie das erste Foto von Niépce aus dem Jahr 1826, sein verschwommener Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras.

Die Fotografie, so wird meist gesagt, ist die Kunst des festgehaltenen Augenblicks. Im Benita-Kosmos dehnt sich dieser Moment in unendliche Weiten, in denen die Zeit keine Macht mehr besitzt. Zeit- und raumlos und damit frei und losgelöst sind ihre Bilder ein Gedicht.